Forschung an Kindern und Jugendlichen oder doch eher Lernen von Kindern und Jugendlichen?
Vor 6,5 Wochen begann ich mein KlinStrucMed-Projekt in der pädiatrischen Hepatologie und Gastroenterologie. Ich war bis zu diesem Zeitpunkt im Rahmen von Praktika fast ausschließlich in der Erwachsenenmedizin tätig gewesen. Somit versprach die Tätigkeit in der Kinderklinik neue und spannende Erkenntnisse bezüglich der Besonderheiten in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.
Einer ersten Besonderheit begegnete ich bereits bei der Aufklärung der Familien und Kinder für unsere Studie. Es ist selbstverständlich, dass man sich auf die Patient*innen, mit denen man ein (Aufklärungs)-Gespräch führt, einstellen muss und abhängig vom Interesse, dem Vorwissen und der Persönlichkeit der Person mit unterschiedlichem Fokus auf Sachverhalte eingeht.
In der Pädiatrie ist dies natürlich auch wichtig, allerdings besteht hier darüber hinaus die Besonderheit, dass man sich häufig auf die Persönlichkeit von drei Personen (beiden Eltern und dem Kind/Jugendlichen) gleichzeitig einstellen muss und dabei zusätzlich den Entwicklungsstand des Kindes/Jugendlichen sowie die anders gelagerten Interessen der Eltern berücksichtigen muss.
Aus dieser Besonderheit resultiert, dass wir für unsere Studie insgesamt vier unterschiedlich formulierte Aufklärungsbögen nutzen: Einen für die Erziehungsberechtigten und jeweils einen von drei dem Alter des Kindes/Jugendlichen angepassten Aufklärungsbogen. Auch bei den Fragebögen, die wir zur Evaluation der Lebensqualität und der kognitiven Funktion nutzen, verwenden wir unterschiedliche, altersangepasste Versionen.
Eine weitere Besonderheit der Kinderheilkunde ist die intensive kritische Abwägung, ob eine invasive Maßnahme durchgeführt werden soll. Beispielsweise werden bei Kindern seltener Blutentnahmen durchgeführt als bei Erwachsenen. Als neue Doktorandin, die unter anderem Blutproben gewinnen möchte, bedeutete dies, dass ich mir schnell einen Plan überlegen musste, um den Zeitpunkt der womöglich einzigen Blutentnahme der Patient*innen nicht zu verpassen.
In meinem Projekt wollen wir des Weiteren den Grad der Fibrosierung der Leber bei autoimmuner Lebererkrankung erfassen. Der diagnostische Goldstandard wäre hierbei eine Leberbiopsie. Wenn eine solche sowieso durchgeführt wird, nutzen wir diese Ergebnisse auch zu Studienzwecken. Ist jedoch aus klinischen Gründen keine Biopsie geplant, ist es nicht vorstellbar, einem Kind eine Vollnarkose und Leberbiopsie allein aus Studienzwecken zuzumuten. Deswegen greifen wir in diesem Fall auf ein nicht-invasives Verfahren zurück – den sogenannten Fibroscan. Hierbei handelt es sich um eine bestimmte Art von Ultraschall, welche ebenfalls eine Einschätzung des Vernarbungsgrades der Leber erlaubt, schmerz- und narkosefrei.
Ein an Kindern hervorzuhebendes Merkmal, ist die Tatsache, dass ihnen die meisten Normen, die unseren Alltag und unsere Denkstrukturen bestimmen, noch fremd sind. Daraus resultiert einerseits, dass Kinder häufig mit einer verblüffenden Zuversicht und Leichtigkeit mit ihren chronischen und schweren Erkrankungen umgehen, da sie es nicht anders kennen, als regelmäßig ins Krankenhaus zu gehen und Medikamente einzunehmen. Andererseits erstaunten mich auch viele Nachfragen der Kinder in Bezug auf unser Forschungsprojekt: Sie stellten mir Fragen, die ich mir als erwachsene Doktorandin zu meinem Projekt bisher nicht gestellt hatte. Angeregt durch diese Fragen schaute ich den einen oder anderen Aspekt noch einmal nach und gewann neue Blickwinkel sowie ein tieferes Verständnis für den Themenkomplex.
In einem über lange Zeit gewachsenen System wie der Klinik und dem Krankenhausalltag macht sich diese Unangepasstheit darüber hinaus in einer Vielzahl von lustigen Situationen bemerkbar: Sei es, dass ein 10-jähriger Junge plötzlich ins Arztzimmer spaziert, weil er mit seinem Arzt darüber diskutieren möchte, warum er doch nicht mehr heute entlassen werden kann. Oder das gerade lebertransplantierte 2 Jahre alte Mädchen, das auf dem Flur das Laufen übt, dann jedoch entscheidet, dass sie lieber einfach an dieser Stelle sitzen bleiben möchte. Oder der 8-jährige Junge, der dem Krankenhauspersonal die Masken stempelt – mit dem Hinweis, dass das die Zugangsberechtigung für sein Boot sei.
Ich bin zu der Erkenntnis gekommen, dass eben jene kindliche Distanz von etablierten Normen, Unvoreingenommenheit und ihr frischer Blick gute Leitmotive für meine forscherische Tätigkeit sind. So möchte ich dadurch angeregt meinem KlinStrucMed-Projekt zielstrebig aber ergebnisoffen nachgehen und gedankliche Offenheit und Dynamik für neue Betrachtungsweisen anstreben – sowohl in diesem Projekt als auch in potentiellen zukünftigen Forschungstätigkeiten.
Zusammenfassend bedeutet die Forschung mit Kindern also nicht nur, etwas über die pathophysiologischen Zusammenhänge der Erkrankungen dieser Kinder zu lernen, sondern auch direkt von den Kindern etwas zu lernen – zum Beispiel Begeisterungsfähigkeit, Unvoreingenommenheit und einen konstruktiv-kritischen Blick auf etablierte Vorgehensweisen.
mk